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Fotografin Kerstin Jacobsen über Modefotografie ohne Klischees

Für das Avantgarde-Modemagazin »Œ« hat Kerstin Jacobsen wunderschöne Models mit Kopftuch fotografiert. Wir sprachen mit ihr über Frauenbilder in unseren Köpfen und in den Medien, über ihre Erfahrungen in der No-Models-Ära der »Brigitte« und darüber, warum gute Models immer intelligent sind.

Am 18. Dezember erscheint die siebte Ausgabe von »Œ« – und das stets spektakuläre Berliner Modemagazin testet darin wieder einmal neue Grenzen aus. Die zentrale Frage lautet fortan: Kann Modefotografie gesellschaftlich relevant sein? Publisher Arne Eberle, Art-direktorinnen Lucie Schibel und Lisa Borges vom Berliner Designstudio Maven Berlin sowie der neue Fashion Director Sebastiano Ragusa meinen, ja. Im Heft vertreten ist unter anderem Kerstin Jacobsen, die schon für viele führende Frauenmagazine gearbeitet hat und eine brilliante Kopftuchmodestrecke für »Œ« realisierte. Wir trafen die in Berlin lebende Mode- und Celebrity-Fotografin in ihrer Heimatstadt Hamburg zum Gespräch. Das unten gezeigte Foto der winterlichen Kerstin schoss Andrej Glusgold.

PAGE: Natürlich würden wir gleich zuerst gern wissen, wie die Idee zu den Kopftuchfotos entstand. 

Kerstin Jacobsen: Ich hatte schon einmal für »Œ« Fotos gemacht. Und zwar für eine Strecke namens »Conjoined«, mit einem normalen Modell und einer Tänzerin als lebendem Accessoire. Stylist war Rainer Metz gewesen und die »OE«-Macherinnen fragten mich, ob ich wieder mit ihm zusammenarbeiten wollte. Thema des Heftes war diesmal »radikal«. Ich bin in mich gegangen und habe mich gefragt, was eigentlich heute überhaupt noch radikal ist. Steine schmeissende Modells jedenfalls nicht, und jeder Busen, jeder Hintern ist schon gesehen. Was mich tatsächlich bewegt, sind Frauen, die Kopftücher tragen. Und die ganze Welt, die man damit assoziiert, die Klischees, die einem die Medien eintrichtern: Leute, die aus Deutschland zum IS ziehen, Krieg und Terrorismus.

In vielen Hinterköpfen eine alltägliche Assoziation.

Ja, man sieht immer diese Frauen an sich vorbeihuschen, mal mehr, mal weniger verhüllt, und findet das schon manchmal befremdlich. Ich wollte spielerisch ausprobieren, was eigentlich passiert, wenn man eine Modestrecke macht, in der jede Frau ein Kopftuch trägt. Was für ein Eindruck entsteht da, wie nimmt man das wahr?

Mit was für Models hast Du gearbeitet? 

Ich habe bei verschiedenen Modelagenturen Mädchen ausgesucht, die schön und interessant aussehen. Inszeniert wurden sie aber so, als ob man sie auf der Straße angesprochen und gefragt hätte, ob sie mal eben zum Shooting reinkommen.

Sind diese Mädchen Muslime?

Wahrscheinlich nicht, aber das war gar nicht wichtig. Interessant war, wie die Models mit einer Strecke ungegangen sind, in der jede Menge aktueller Avantgardemode, aber keine Haut, höchstens mal ein Fuß zu sehen ist und Sexyness keine Rolle spielt: nämlich mit einem ganz speziellen Posing. Sie haben sich so hineingefunden, als ob sie die Rolle übernommen hätten, haben ganz fein und zaghaft posiert.

Was war dann dein Eindruck von den Bildern?

Dass es völlig irrelevant ist, ob die ein Kopftuch tragen oder nicht. Das war das Befreiende für mich selbst, dass am Ende nur diese wunderschönen Frauen übrigbleiben, in deren Gesichtern du schwelgen möchtest.

Also du bist keine Anhängerin des Kopftuchverbots?

Es wird mit Hilflosigkeit auf etwas reagiert, das man nicht einordnen kann. Ich hatte mit 19 Jahren mal eine Glatze, weil ich ausprobieren wollte, keine Haare zu haben. Da gab es unglaubliche Reaktionen, ich bin sehr viel beschimpft worden dafür. Wohl nur, weil es fremd wirkt und sich nicht in eine Schublade stecken lässt.

Hat das Shooting deinen Alltag verändert?

Ich gucke jetzt anders hin. Früher habe ich eher ein Kopftuch mit Frau gesehen, jetzt sehe ich eine Frau mit Kopftuch.

Stimmt womöglich mit der westlichen Sichtweise auf die Frau etwas nicht?

Jedenfalls wird viel Werbung mit sexy Frauen von Männern gemacht. Frauen interessiert das gar nicht besonders. Meine Fotostrecken für Frauenzeitschriften waren immer dann besonders erfolgreich, wenn sie kleine Geschichten erzählen, die Frauen quasi in ein kleines Märchen entführen. Frauen fühlen sich viel mehr gemeint, wenn sie sich in eine Geschichte hineindenken können, als wenn sich irgendwo ein Mädchen mit einem Superkörper räkelt. Als ich für »Brigitte« in Südafrika eine Unterwäschenproduktion mit einem aus New York eingeflogenen molligen schwarzen Mädchen realisiert habe, gab es eine Wahnsinnsreaktion bei den Leserinnen. Beim Shooting war erst ein Wetlook geplant, aber ich habe das Model romantisch und verträumt zwischen riesigen runden Felsen herumstehen lassen. Die Leserbriefe zeigten, dass sie als normale Frau wahrgenommen wurde.

Du hast danach häufig für »Brigitte« fotografiert, als man dort die No-Models-Devise ausgerufen hatte. Warum arbeitet man inzwischen nicht mehr mit Amateurmodellen?

Das No-Models-Prinzip hat sehr gut funktioniert, bis den Leserinnen aufgefallen ist, dass es natürlich auch hier ein Casting und Retusche gab und nicht einfach Lieschen Müller fotografiert wurde. Ein neuer Chefredakteur ist dann von dem System abgerückt. Übrigens habe ich daraufhin jahrelang auch in Italien »No Models« fotografiert. Man wollte auch dort so arbeiten, aber nachdem sogar italienische Topfotografen an den Amateurmodellen gescheitert waren, hat man einige Fotografen eingeflogen, die Erfahrungen von »Brigitte« mitbrachten.

Was ist so schwer daran, Frauen zu fotografieren, die keine Modells sind?

Prämisse ist ja gerade, dass die noch nie vor einer Kamera standen. Als Fotograf fängst du deswegen jedes Mal bei Adam und Eva an. Manchmal funktioniert das gut, zum Beispiel habe ich in Italien für eine Beauty-Geschichte ein Mädchen fotografiert, die ein traumhaft schönes Gesicht hatte, aber verwachsen war. In der Beauty-Strecke ging das gut und einmal vor der Kamera zu stehen, war für sie natürlich ein Event. Andere Frauen erstarren aber beim Shooting zu Eis. Außerdem gibt es bei Modeproduktionen Konfektionsgrößen von meist maximal 36 oder 38, in die die Models passen müssen. Da kommen viele Frauen figürlich nicht in Frage. 

Die Arbeit mit Amateurmodels stößt demnach an Grenzen? 

Ja, man kommt immer nur bis zu einem bestimmten Punkt. Als Fotograf eine Idee haben und vom Model dazu einen Mehrwert bekommen, indem es das Konzept interpretiert – das funktioniert mit Amateuren nicht. Model zu sein ist nunmal eine Profession, ein Beruf. Es reicht nicht gut auszusehen, sondern man muss sich auch in die Idee des Fotografen hineindenken können. Es ist ein Klischee, dass Models dumm sind und nur gut aussehen. Die guten Models sind alle sehr intelligent und denken mit.

Also weg von allen Klischees – auch was Kopftücher angeht.

In den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren haben modebewußte Frauen hierzulande gerne Kopftücher getragen. Jetzt erleben sie eine Renaissance, Dior hat zu Etui-Kleidern im Fifties-Look fleissig Kopftücher eingesetzt. Ein elegantes Seidenkopftuch, gut drapiert, sieht toll aus. Von Audrey Hepburn zum Beispiel gibt es viele Bilder mit Kopftuch, ebenso von Brigitte Bardot. Zum Cabriot- oder Motorboot-Fahren galten Kopftücher als perfektes modisches Accessoire. Und kunstvolle Frisuren konnte man auch noch damit schützen.

Und hier noch ein bemerkenswertes Statement von Lisa Borges und Lucie Schibel zur siebten Ausgabe von »Œ«

 

»In dieser Ausgabe ATTR/ACTION geht es um die Frage, ob Mode bzw. ihre Darstellung in den Medien eine gesellschaftlich relevante Botschaft haben kann. Wir hatten dieses Mal den Wunsch, mehr als noch ein paar hübsche Modestrecken zu zeigen und als wir das Thema bei unseren Contributorn angesprochen haben, kam sehr viel positives Feedback, es scheint, dass die Akteure der Modeszene persönliche Anliegen haben, die sie in ihrem normalen Aufträgen nicht wirklich ausdrücken können. Diversität, Umwelt, sexuelle Identität… Natürlich ist das Feld Mode nicht unproblematisch, schließlich verbinden wir damit vor allem Dinge wie absurde Schönheitsideale, Konsumhetze und rassistisches Model Casting. Deswegen geht es in vielen Beiträgen in Œ 7 auch eher darum, Fragen aufzuwerfen und zum Nachdenken anzuregen als darum, Antworten zu geben. Beispiele wie Vivienne Westwood, Stella McCartney, die Vogue Italia oder das Projekt Political Fashion vom Fotografen Nick Knight zeigen aber, dass es möglich ist, politische Themen im Modekontext zu verhandeln. In dem Sinne wollen wir unsere Fotografen auch in Zukunft anregen, Œ als unabhängiges Medium dafür zu nutzen, ihre Meinungen über das rein Ästhetische hinaus auszudrücken.«

 

Coverfoto: Wilkosz&Way
Grooming: Andrea Dyrland
Model: Henoc (Hore Models)

Bezugsquellen siehe http://www.oe-magazine.de

Fotos von Kerstin Jacobsen für Œ #7, Styling Rainer Metz
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Fotos von Kerstin Jacobsen für Œ #7, Styling Rainer Metz
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Fotos von Kerstin Jacobsen für Œ #7, Styling Rainer Metz
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Fotos von Kerstin Jacobsen für Œ #3, Styling Rainer Metz
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