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Armin Jochum: »Die crossmediale Zwangsorchestrierung ist überholt«

JvM-Vorstandsmitglied Armin Jochum sitzt in diesem Jahr zum zweiten Mal in einer Jury der Cannes Lions – in der Königskategorie Titanium & Integrated. PAGE sprach mit ihm über seine ganz persönliche Beziehung zu Cannes und seine Erwartungen für das diesjährige Festival.

JvM-Vorstandsmitglied Armin Jochum sitzt in diesem Jahr zum zweiten Mal in einer Jury der Cannes Lions – in der Königskategorie Titanium & Integrated. PAGE sprach mit ihm über seine ganz persönliche Beziehung zu Cannes und seine Erwartungen für das diesjährige Festival (19. bis 25. Juni 2011).

PAGE: Sie haben zu der „Great Stories“-Kampagne für die CannesLions beigetragen. Was hat Sie dazu bewogen?

Jochum: Ich wurde überrumpelt. Beim Eurobest 2010 in Hamburg hat mich Cannes-CEO Phil Thomas nach einem Vortag zur Seite genommen und für die Kampagne rekrutiert. Ich hatte damit überhaupt kein Problem, weil meine Beziehung zu Cannes eine wirklich besondere ist.

Inwiefern?

Für mich – und viele andere Kreative weltweit – ist Cannes nicht nur ein Kreativwettbewerb unter vielen, sondern das bedeutendste Kreativfestival der Welt. Es inspiriert ungemein und einen Cannes-Löwen zu gewinnen ist etwas ganz besonderes – egal, welche Farbe er hat.


In dem Kampagnenfilm steht Ihre Begegnung mit Jean-Rémy von Matt beim Cannes Festival 2008 im Vordergrund. Doch Ihre Geschichte mit Cannes geht ja noch weiter zurück.

Wie viele Kreative habe ich schon immer nach Cannes geschielt. Ich war aber immer sicher, dass meine Arbeit nicht gut genug ist und habe mich erst nicht getraut, etwas einzureichen. Bei meinem ersten Besuch war ich dann sehr beeindruckt von der Ausstellung im Festival-Palais. Dort kommen Arbeiten aus kleinen indischen Dörfern mit Projekten aus den Millionen-Metropolen zusammen. Man bekommt ein Gespür dafür, was die Welt im kreativen Sinne bewegt. Man bekommt auch ein Gespür dafür, welche Qualität, welchen Mut und welche Kraft eine Idee haben muss, um eine internationale Jury zu überzeugen. Im nächsten Jahr habe ich dann mit BBDO Stuttgart zum ersten Mal eingereicht. Wir gewannen unseren ersten Cannes-Löwen und danach ging alles ganz schnell. Drei Jahre später war ich dann Jury-Präsident bei den Promo-Lions. Ich freue mich immer wieder auf Cannes – bin aber immer noch genauso aufgeregt und demütig wie vor sechs Jahren.


Was waren Ihre Erfahrungen als Jury-Oberhaupt?

Ich fand es beeindruckend, wie perfekt dieses Festival organisiert ist. Ich war schon bei vielen Wettbewerben – aber Cannes ist der einzige, der es mit der Perfektion einer Schweizer Atomuhr aufnehmen kann. Die Zusammensetzung der Jury ist erstklassig, der Jury-Prozess selbst, die Bewertungskriterien – alles ist sehr gut durchdacht.

Wie läuft die Abstimmung genau ab?

Der Prozess ist exakt austariert, nichts wird dem Zufall – oder einer Laune – überlassen. Jede Arbeit wird nach bestimmten Kriterien benotet, die dann unterschiedlich anteilig in die Gesamtbewertung einfließen. Das ist eine geheime Abstimmung. Diskussion gibt es, wenn eine Arbeit zum Beispiel nicht verstanden wird – was manchmal mit sprachlichen und kulturellen Barrieren zusammenhängt. Abgesehen von den stark klimatisierten Räumen ist das eine extrem angenehme Atmosphäre. Sie sind als Juror einzig darauf konzentriert, hervorragende Arbeiten auszuzeichnen. Der Jury-Präsident schaut dann abschließend auf die Ergebnisse, ob alles ausgewogen ist oder ob manche Länder abweichende Ergebnisse haben.

Wie haben Sie sich damals auf Ihre Aufgabe vorbereitet?

Ich hatte richtig Schiss. In der Jury saßen einige hoch profilierte Top-Kreative. Man macht sich dann Sorgen, ob sie einen akzeptieren und ob man sich durchsetzen kann. Ich habe mich im Vorfeld sehr intensiv mit den Jury-Mitgliedern beschäftigt, die Lebensläufe gepaukt, ihre Arbeiten angeschaut. Ich wollte ein Gefühl dafür bekommen, was die Leute bewegt. Die Cannes-Organisatoren haben ein sehr gutes Händchen für die Konstellation von Teams. Ich habe in dieser Woche nahezu kein Tageslicht gesehen – aber es war eine tolle Erfahrung. Und an einem der letzten Abende hat mich dann Jean-Rémy von Matt angesprochen.

Gehen Sie jetzt entspannter an die Jury-Arbeit heran?

Ja. Nach einer gewissen Zeit kennt man viele Leute und es ist nicht mehr alles neu. Es ist auch ein großer Unterschied, ob man Teil der Jury ist – oder eben derjenige, der alles zusammenhalten muss. Deswegen freue ich mich diesmal besonders auf die Woche.

In diesem Jahr gab es so viele Einreichungen wie noch nie. Ist die Stimmung in der Branche wieder besser?

Ich führe das vor allem darauf zurück, dass unsere Branche nach dem Krisenjahr 2009 im vergangenen Jahr wieder Muskeln zeigte. Diese fast schon euphorische Stimmung und die hervorragende Qualität mancher Arbeiten spiegelt sich in den Einreichungen wider. Das ist natürlich auch eine Auszeichnung für das Festival: Es hat sich als erste Adresse für gute Arbeiten etabliert.


Was, glauben Sie, wird in diesem Jahr ein beherrschendes Thema in Cannes sein?

Das weiß man meist nach den ersten paar Tagen. Es gibt immer ein paar Arbeiten, die die globale Stimmung ganz gut wiedergeben und die kreative Welt bewegen. Vorhersagen sind da schwierig. Man kann sich zwar an den Ergebnissen anderer internationaler Awards orientieren – wie New York Festivals oder Clio – aber Cannes ist anders. Und für manche Überraschung gut.

Ist das WWF-Format von Jung von Matt ein Kandidat? Die Arbeit ist ja bereits mehrmals international ausgezeichnet worden.

Das würde ich uns natürlich wünschen. Die Arbeit kommt international hervorragend an, was die steigende Zahl der Downloads eindrucksvoll belegt. Aber – wie schon erwähnt – jedes Festival hat seine eigene DNA. Internationale Jurys dekodieren heute sehr schnell, ob eine Arbeit wirklich die Kraft hat, etwas zu verändern und zu bewegen. Mittlerweile weiß ja jede Agentur, wie man tolle Case-Filme macht. Wenn man in einer Jury sitzt, schaut man sich diese Filme natürlich anders an. Vor allem, wenn man hunderte davon ansehen muss. Eine begeisternde Idee, die einen wirklich umhaut, braucht keine Stützräder.

Haben Sie Favoriten?

Es gibt ein paar Sachen, die ich sehr gut finde, zum Beispiel „Film Room“ von Nike und „Decode Jay-Z with Bing“. Bei Nike finde ich toll, dass die Arbeit es schafft, kleine Jungs von der Straße mit ihren großen Träumen zu einem Teil der Kampagne zu machen. Es kommt nicht darauf an auf Teufel komm raus alle Kanäle bespielen zu müssen. Dieses teutonische Integrationsmodell, diese crossmediale Zwangsorchestrierung ist überholt und vorbei. Manchmal reichen auch 36° statt 360°. Es geht darum, die Menschen näher an eine Marke heranzuführen. Das hat nichts mehr mit Werbung im herkömmlichen Sinne zu tun, sondern die Menschen werden selbst zum Teil einer Markengeschichte. Auf solche Arbeiten freue ich mich am meisten. Sie zeigen, welch ungeheure Kraft in Kommunikation steckt. Und auch in einem Ort wie Cannes! Was durchaus dazu führen kann, dass der ein oder andere nachts um 3 nackt in den Pool der Martinez Bar springt. Auch das gibt’s jedes Jahr.

In diesem Jahr gibt es erstmal einen Löwen für Creative Effectiveness. Der Preis ist nicht unumstritten. Was halten Sie davon?

Unsere Auftraggeber erwarten große Ideen, die großes bewegen – also valide Ergebnisse und Resultate. Es reicht schon lange nicht mehr zu sagen, dass eine Großfläche von 40.000 Autofahrern frequentiert wurde, sondern es geht darum, was es wirklich gebracht hat. Ich fand es eine gute Idee, diese Kategorie Cannes-gemäß neu zu interpretieren. Der Preis setzt einen neuen internationalen Standard für alle Effizienz-Wettbewerbe. Es dürfen nur Arbeiten eingereicht werden, die im Vorjahr mindestens auf der Shortlist standen für ihre Kreativität und diese Arbeiten werden dann erst mal von PriceWaterhouseCoopers auf Herz und Nieren geprüft. Nur Arbeiten, die diese Prüfung meistern, qualifizieren sich für den Wettbewerb. Das entspricht voll und ganz dem Cannes-Prinzip: der Radikalität, immer nur das Beste auszuzeichnen.


Was halten Sie von CannesAlso, der Ausstellung freier Kunstprojekte von Kreativen?

Damit habe ich mich noch nicht beschäftigt, aber das klingt sehr interessant. International suchen Kreative nach neuen Formen und Wegen der Kommunikation, die oft in die Kunst hineinreichen. Genauso gibt es eine große Sehnsucht nach großartigem Handwerk: toll geschriebene Longcopys, grandiose Fotografie oder begnadete Illustration. Ich finde es toll, wenn diese handwerkliche Komponente bei einem Festival eine Bühne bekommt.

Gibt es irgendetwas, was Sie stört oder von dem Sie denken, dass es auf dem Festival nichts zu suchen hat?

Nein. Jeder muss für sich selbst entscheiden, was er aus dieser Woche macht. Für mich ist es die beste Weiterbildungsmaßnahme ever, ich lerne jedes Jahr dazu. Man trifft Leute, die einem sehr wertvolles Wissen weitergeben können. Zum Beispiel hat mir Chuck Porter dort 2008 erklärt, wie man aus einer 40-Mann-Agentur eine 400-Mann-Agentur macht. Cannes ist eine große Chance – und wer will, kann sich immer noch in den Pool der Martinez-Bar stürzen. Nach einem frisch gezapften Bier für 10 Euro eine standesgemäße Erfrischung.

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